Bundesstrafgericht

Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: BB.2012.34

Beschluss vom 3. August 2012 Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter Stephan Blättler, Vorsitz, Andreas J. Keller und Nathalie Zufferey Franciolli,

Gerichtsschreiber Stefan Graf

Parteien

A.,

Beschwerdeführer

gegen

1. Bundesanwaltschaft,

2. B.,

Beschwerdegegner

Gegenstand

Entschädigung der beschuldigten Person bei Einstellung des Verfahrens (Art. 429 ff . StPO)

Sachverhalt:

A. Am 30. August 2011 stellte B. bei der Kantonspolizei Bern gegen ihre Nachbarn A. und C. Strafantrag. Anlässlich der polizeilichen Befragung machte sie geltend, sie sei am Abend des 1. August 2011 durch den von den Nachbargrundstücken herrührenden Lärm und dem dort abgefeuerten Feuerwerk gestört worden. Ausgelöst durch Angstzustände habe sie Herzkrämpfe erlitten und durch die lauten Knaller habe sie Schmerzen im linken Ohr verspürt. Des Rauchs wegen habe sie die ganze Nacht erbrechen müssen. Am 12. September 2011 wurde A. von der Kantonspolizei Bern zur Sache befragt.

B. Mit Verfügung vom 27. Februar 2012 (act. 3) eröffnete die Bundesanwaltschaft gegen A. und C. ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Gefährdung durch Sprengstoffe und giftige Gase in verbrecherischer Absicht (Art. 224 StGB) sowie der fahrlässigen Körperverletzung (Art. 125 StGB), vereinigte das Verfahren gestützt auf Art. 26 Abs. 2 StPO in der Hand der Bundesbehörden und stellte es sogleich ein. Die Einstellung des Verfahrens gegen A. begründete die Bundesanwaltschaft mit dem Umstand, dass ein von diesem vorgelegter Verbindungsnachweis der Swisscom belege, dass A. sich zum fraglichen Zeitpunkt gar nicht am Tatort aufgehalten habe. Mit Hinweis auf Art. 430 Abs. 1 StPO verzichtete die Bundesanwaltschaft darauf, A. eine Entschädigung bzw. eine Genugtuung zuzusprechen.

C. Hierauf gelangte A. am 18. März 2012 mit "Beschwerde nach Art. 393 ff . StPO" an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts und hielt fest, seiner Meinung nach sei eine Entschädigung und Genugtuung gerechtfertigt, "und zwar nicht zu Kosten der Allgemeinheit, sondern des Tatbestandes einer ungerechtfertigten Anzeige" (act. 1). Nachdem die Beschwerdekammer A. unter Hinweis auf Art. 396 Abs. 1 i.V.m. Art. 385 Abs. 1 StPO zur Einreichung einer genügend begründeten Beschwerde einlud, machte dieser mit Eingabe vom 24. März 2012 nebst einer Entschädigung für Arbeitszeitverlust und Umtriebe in der Höhe von Fr. 280.-- eine Genugtuung "infolge Anzeige ohne Strafbestand" in der Höhe von Fr. 600.-- geltend (act. 5). Die Beschwerdekammer ersuchte hierauf am 27. März 2012 die Bundesanwaltschaft, ihr die Verfahrensakten einzureichen (act. 6), verzichtete im Übrigen aber auf die Durchführung eines Schriftenwechsels.

Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den folgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.

Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:

1.

1.1 Gegen die Einstellungsverfügung der Bundesanwaltschaft können die Parteien innert zehn Tagen bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts Beschwerde erheben (Art. 322 Abs. 2 StPO i.V.m. Art. 37 Abs. 1 StBOG). Voraussetzung zur Beschwerdeerhebung ist dabei auf Seiten der Partei ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung der angefochtenen Verfügung (Art. 382 Abs. 1 StPO). Mit der Beschwerde gerügt werden können gemäss Art. 393 Abs. 2 StPO Rechtsverletzungen, einschliesslich Überschreitung und Missbrauch des Ermessens, Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung (lit. a), die unvollständige oder unrichtige Feststellung des Sachverhalts (lit. b) sowie die Unangemessenheit (lit. c).

1.2 Der vormals beschuldigte Beschwerdeführer ist durch die im Rahmen der Einstellungsverfügung ergangene Verweigerung der anlässlich der Einvernahme vom 12. September 2011 von ihm beantragten Entschädigung ohne weiteres zur Beschwerdeführung berechtigt (vgl. u. a. den Beschluss des Bundesstrafgerichts BK.2011.8 vom 2. September 2011, E. 1.2). Die übrigen Eintretensvoraussetzungen geben nach der erfolgten Verbesserung der Beschwerdeschrift zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde ist demnach einzutreten.

2.

2.1 Wird das Verfahren gegen die beschuldigte Person eingestellt, so hat sie gemäss Art. 429 Abs. 1 StPO Anspruch auf Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte (lit. a), Entschädigung der wirtschaftlichen Einbussen, die ihr aus ihrer notwendigen Beteiligung am Strafverfahren entstanden sind (lit. b) und Genugtuung für besonders schwere Verletzungen ihrer persönlichen Verhältnisse, insbesondere bei Freiheitsentzug (lit. c).

2.1.1 Gestützt auf Art. 429 Abs. 1 lit. b StPO entschädigt werden Lohn- und Erwerbseinbussen, die wegen der vorläufigen Verhaftung oder der Beteiligung an den Verfahrenshandlungen erlitten wurden, wie auch die durch das Verfahren verursachten Reisekosten. Dabei sind nur Schäden zu ersetzen, die kausal durch das Wirken der Strafverfolgungsbehörden verursacht wurden. Für die Berechnung der Höhe der wirtschaftlichen Einbussen sind die zivilrechtlichen Regeln anzuwenden, wobei schadensmindernde Aktivitäten anzurechnen sind (Beschlüsse des Bundesstrafgerichts BK.2011.16 vom 17. April 2012, E. 2.2; BK.2011.8 vom 2. September 2011, E. 2.2.1; jeweils m.w.H.).

2.1.2 Voraussetzung des Anspruchs auf eine Genugtuung gemäss Art. 429 Abs. 1 lit. c StPO ist eine besonders schwere Verletzung in den persönlichen Verhältnissen. Hauptbeispiel einer solchen Persönlichkeitsverletzung ist der im Gesetz ausdrücklich erwähnte Freiheitsentzug (vgl. zur Bemessung einer Genugtuungsleistung den Beschluss des Bundesstrafgerichts BB.2011.125 vom 30. Mai 2012, E. 5.1 m.w.H.). Die Regel von Art. 429 Abs. 1 lit. c StPO betrifft primär rechtmässig angeordnete Zwangsmassnahmen. Genugtuungen können jedoch auch durch andere Verfahrenshandlungen ausgelöst werden. Zu denken ist an persönlichkeitsverletzende Mitteilungen von Strafbehörden an die Medien (vgl. Schmid, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, Zürich/St. Gallen 2009, N. 1817).

2.2 Die Strafbehörde kann die Entschädigung oder Genugtuung herabsetzen oder verweigern, wenn die Aufwendungen der beschuldigten Person geringfügig sind (Art. 430 Abs. 1 lit. c StPO). Diese Bestimmung nimmt einen bereits vor Inkrafttreten der StPO weit verbreiteten Grundsatz auf, wonach nur Aufwendungen von einiger Bedeutung zu vergüten sind. Geringfügige Nachteile wie etwa die Pflicht, ein oder zwei Mal bei einer Gerichtsverhandlung erscheinen zu müssen, geben zu keiner Entschädigung Anlass (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 S. 1330; siehe auch Schmid, a.a.O., N. 1823; Griesser, Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Zürich/Basel/Genf 2010, Art. 430 StPO N. 14; Wehrenberg/Bernhard, Basler Kommentar, Basel 2011, Art. 430 StPO N. 18 f.).

2.3 Vorliegend wurde der Beschwerdeführer zu einer 45 Minuten dauernden Einvernahme bei der Polizei vorgeladen. Weiter wurde er am 1. November 2011 während 10 Minuten telefonisch zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen befragt. Zwangsmassnahmen hatte er im Verlaufe des Verfahrens keine zu erdulden. Auf den Beizug eines Vertreters hat er verzichtet. Hinsichtlich des vom Beschwerdeführer geltend gemachten Schadenspostens "Arbeitszeitverlust und Umtriebe" hat er es unterlassen, zu dessen Substantiierung irgendwelche konkreten Angaben zu machen oder seine finanzielle Einbusse durch Einreichung von Unterlagen zu dokumentieren und zu beweisen. Sein Begehren um Ausrichtung einer entsprechenden Entschädigung ist daher abzuweisen. Angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdeführer im Verlaufe des Verfahrens nur zweimal kurz (einmal davon telefonisch) befragt worden ist, dürfte er – wenn überhaupt – lediglich geringfügige finanzielle Nachteile erlitten haben, hinsichtlich welcher kein Anlass für die Ausrichtung einer Entschädigung besteht.

2.4 Für die Ausrichtung einer Genugtuungsleistung in der Höhe von Fr. 600.-- allein aufgrund der ungerechtfertigten Anzeige besteht ebenso kein Anlass. Nach dem oben Ausgeführten (siehe E. 2.1.2) lösen nur schwerwiegende Persönlichkeitsverletzungen einen Genugtuungsanspruch aus. Vorliegend musste der Beschwerdeführer keinerlei Zwangsmassnahmen über sich ergehen lassen. Anderweitige Gründe, weshalb der Beschwerdeführer durch das gegen ihn gerichtete und nach kurzer Dauer auch wieder eingestellte Verfahren schwerwiegend in seiner Persönlichkeit betroffen sein sollte, sind in den Akten keine ersichtlich und werden von diesem auch nicht geltend gemacht.

2.5 Die Beschwerde erweist sich nach dem Gesagten als offensichtlich unbegründet, weshalb sie ohne weiteren Schriftenwechsel (Art. 390 Abs. 2 StPO e contrario) abzuweisen ist.

3. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 428 Abs. 1 StPO). Die Gerichtsgebühr ist auf Fr. 500.-- festzusetzen (Art. 73 StBOG i.V.m. Art. 5 und 8 Abs. 1 des Reglements des Bundesstrafgerichts vom 31. August 2010 über die Kosten, Gebühren und Entschädigungen in Bundesstrafverfahren [BStKR, SR 173.713.162]).

Demnach erkennt die Beschwerdekammer:

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die Gerichtsgebühr von Fr. 500.-- wird dem Beschwerdeführer zur Bezahlung auferlegt.

Bellinzona, 3. August 2012

Im Namen der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Zustellung an

- A.

- B.

- Bundesanwaltschaft

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : BB.2012.34
Date : 03. August 2012
Published : 16. August 2012
Source : Bundesstrafgericht
Status : Unpubliziert
Subject area : Beschwerdekammer: Strafverfahren
Subject : Entschädigung der beschuldigten Person bei Freispruch oder bei Einstellung des Verfahrens (Art. 429 ff. StPO).


Legislation register
StBOG: 37  73
StGB: 125  224
StPO: 26  322  382  385  390  393  396  428  429  430
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